Das Jüdische Museum Wien bringt einen kontroversen Dialog in Gang
– Museen sehen sich oft als Orte eines gesellschaftlichen Dialogs. Relevante Themen werden aufgegriffen, recherchiert und ausgestellt, oft geschieht das aber recht im Stillen. Die gesittete Diskussion bewegt sich in eng abgegrenzten Zirkeln. Das Theater ist in der Regel lauter, obwohl auch hier so mancher „Skandal“ mittlerweile mangels breiteren Interesses verpufft. Wenn man die Öffnung von Museen ernst meint, darf man aber nicht einfach akademische Diskurse weiterspinnen, sondern muss sich auch ins Offene wagen Und das ist nun einmal von immer schärfer werdenden Kontroversen geprägt. Hier stellt sich die Frage, wie sich das Museum in der Öffentlichkeit positioniert und wie es mit seiner eigenen Community kommuniziert, die oft weniger homogen ist als gedacht.
Das Jüdische Museum Wien hat es mit der Eröffnungsausstellung seiner neuen Direktorin Barbara Staudinger geschafft, einen Aufreger zu produzieren, wie ihn – laut dem im Paris erscheinenden Onlinemediums K point – die jüdischen Museen in Europa ein ganzes Jahrzehnt nicht mehr gesehen haben. Wir wollen uns hier auf keine Seite schlagen, sondern uns an diesem Beispiel ansehen, was die Aufregung ausgelöst hat und welche Probleme die Ausstellung jenseits inhaltlicher Fragen aufwirft. Worum geht’s? In der Ausstellung 100 Missverständnisse von und über Juden werden an einhundert Beispielen Stereotype, Klischees und Vorurteile aufgegriffen und in elaborierter Form widerlegt. Das Ganze illustriert mit Objekten und ausgewählten Kunstwerken, die humorvoll bis provokant, aber aus künstlerischer Sicht durchwegs vielschichtig sind. Die Kontroverse entzündet sich nun einerseits an der Frage, ob die Stereotype durch ihre breite Diskussion nicht weitergetragen werden, anderseits daran, dass die Objekte von den Kritikern weniger mit Humor oder einem anerkennenden Verständnis wahrgenommen werden, sondern vielmehr als geschmack- und pietätlos.
Das in dieser Hinsicht extremste Objekt illustriert Misssverständnis Nr. 29: „Der Massenvernichtung kann nur in Ehrfurcht gedacht werden“. Es ist ein Video der australischen Künstlerin Jane Korman zu sehen, das ihren Vater, den Holocaust-Überlebenden Adolek Kohn zeigt, wie er mit ihr und seinen Enkelkindern in Ausschwitz und an anderen Orten seines Leids zum bekannten Lied „We will Survive“ tanzend zeigt. Wie könne denn hier Freude ausgedrückt werden, sagen die einen. Mit etwas Empathie lässt sich aber nachvollziehen, dass man über sein Überleben auch berechtigt Freude empfinden kann – und genau das wird von der Künstlerin benannt. Im Ausstellungsraum mit der Videoprojektion herrscht jedenfalls abgesehen von der Tonspur betretenes Schweigen. Die Ausstellung hat eine dezidiert ablehnende Reaktion seitens der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien ausgelöst, die den Anspruch erhebt für alle Wiener Juden zu sprechen. Dies hat wiederum den Widerspruch von Holocaustüberlebenden und prominenten Wiener jüdischer Intellektueller hervorgerufen. Die österreichischen Zeitungen haben differenziert berichtet und die Kontroverse aufgenommen. Die Ausstellung wurde zum Stadtgespräch – immerhin!
Dabei ist der Konfliktauslöser der Ausstellung gar nicht so einfach zu fassen. „Das vielleicht größte Manko der Ausstellung ist die verkürzte Darstellung dessen, was als Missverständnis angeprangert werden soll“ schreiben der Präsident des interreligiösen Koordinierungsausschusses, der katholische Theologe Martin Jäggle, und dessen jüdischer Vizepräsident Willy Weisz. Auch wenn wir die negative Grundhaltung dieser beiden offiziellen Repräsentanten nicht teilen, ist hier methodisch was Wahres dran. Manchmal fehlt vor lauter Widerlegung eine ausgewogene Darstellung, wie es zu gewissen Stereotypen überhaupt kommen konnte. Ein Beispiel: Natürlich gibt es sowas wie jüdische Namen nicht (allenfalls hebräische), nichtsdestoweniger kommen uns als Nachnamen verwendete deutsche Wörter und Wortkombinationen oftmals jüdisch vor. Dies hat sein Ursprung im ausgesprochen nichtdiskriminatorischen Gedanken preußischer und österreichischer Beamter, den Juden deutschprachige Namen zu geben. Da viele Juden durch die Übersetzung biblischer Bezüge ins Deutsche (Hirsch, Blau, Rosenblatt) oder durch phonetische Übertragung (Kohn für Cohen/כֹּהֵן – der Priester) oder Buchstabenvertauschungen (Weil für Levi/לֵוִי) der Stammesnamen das Ansinnen der Nichtunterscheidbarkeit tatsächlich unterliefen, kam es doch zu etwas wie einer typisch jüdischen Namensmorphologie, die auch gelesen und analysiert werden kann. Dies wird nur verkürzt und auch nur im ausführlichen Katalogtext erwähnt. Insofern bleibt die Ausstellung an vielen Punkten einseitig und provoziert eben auch dadurch Widerspruch. Was hätte nach unserer Meinung geholfen? Erstens weniger Objekte – die Hundertzahl ist erdrückend – zweitens eine einfachere Sprache, dafür aber drittens die dialogische Einbindung des Gegenarguments, nämlich warum gewisse Umstände zu Vorurteilen und Stereotypen werden konnten. Allesamt Strategie, die eigentlich für alle Themen und Museen gelten sollten.
Alles in allem: Die Ausstellung ist relevant, führt zu einer doch produktiven Auseinandersetzung innerhalb der Community, hat eine in der Breite deutlich wahrnehmbare Diskussion entfacht, und ist auch deswegen zeitweise zum Bersten voll. Insofern weiter so! Also für alle die in Wien sind und bis zum 4. Juni 2023 hinkommen: Unbedingt anschauen!
Bild:
Anna Adam, Susi Sorglos – Objekt zum Missverständnis Nr. 90 „Alle Juden essen koscher“
(Foto: Ouriel Morgensztern)
Links:
Anna Goldenberg, Wer in Ausschwitz tanzen darf – in: Falter 4/23 vom 24.01.2023 (Paywall)
Anna Goldenberg, Krach im Museum – in: Falter morgen #503 vom 03.02.2023
Interview: Stephan Hilpold im Gespräch mit der Direktorin des jüdischen Museums Barbara Staudinger – in: Standard online 01.02.2023
Kritik an Schau im Jüdischen Museum reißt nicht ab – in: religion.orf.at vom 10.02.2023
Liam Hoare, “100 Misunderstandings About and Among Jews” and Many More About the European Jewish Museum – in: K. VOM 24.03.2023
[alles abgerufen am 10.04.2023]