Wie die 55 Jahre alte Nationalgalerie mit Monica Bonvicinis Ausstellung „I do you“ uns die Zukunft des Museums zeigt
Offenheit, ein Schlagwort, das zumeist als eines der ersten genannt wird, wenn es um das Museum der Zukunft geht. Offenheit soll dazu beitragen, die Relevanz des Museums für die Gesellschaft zu erhöhen. Wobei: Was kann der abstrakte Begriff der Offenheit in diesem Zusammenhang überhaupt bedeuten? Es kann damit die geistige Offenheit gemeint sein, die sich auf die Bereitschaft des Museums bezieht , neue Ideen und Perspektiven zu akzeptieren und zu fördern. Kulturelle Offenheit wäre die Fähigkeit des Museums, eine Vielfalt an kulturellen Ausdrucksformen und Traditionen zu reflektieren und schließlich kann damit auch die möglichst gute Zugänglichkeit des Museums für eine breite Öffentlichkeit gemeint sein, einschließlich unterrepräsentierter Gruppen.
Eine weitere Form, die auch symbolisch für all diese Formen stehen kann, ist ganz einfach die räumliche Offenheit von Museumsgebäuden. Auch wenn sich durch die digitale Öffnung neue Kanäle ergeben haben, ist der offene physische Ort immer noch ein zentrales Anliegen. Dabei tut sich das Museum damit strukturell gar nicht so leicht: Es muss seine Objekte schützen, möchte Wände haben, um sie aufzuhängen und traditionell wurde es als Repräsentationsbauwerk noch auf einen Sockel gestellt. In letzter Zeit wurden Eingangsbereiche und Foyers zwar allerorts offener und einladender gestaltet, dienen aber vielfach nur als Trichter in den White Cube im Museumsinneren.
Umso fremdartiger erscheint ein Museumsgebäude, das auf den ersten Blick überhaupt nur wie eine komplett durchsichtige Halle aus Glas und Stahl erscheint und seine herkömmlichen Ausstellungsräume ins Untergeschoß verbannt. Es ist die Neue Nationalgalerie in Berlin von Mies van der Rohe aus dem Jahr 1968. Selbst der Stararchitekt David Chipperfield, der das Gebäude behutsam von 2012 bis 2018 restaurierte, ist vom musealen Konzept wie er in einem Interview sagte, nicht restlos überzeugt:
„Wozu diese riesige Glashalle? Neun Meter hoch, Tageslicht, keine Zwischenwände. Was soll das? Was wirklich funktioniert ist das Untergeschoss mit dem Garten. Dort läuft die Maschinerie des Museums ganz hervorragend. Mies van der Rohe hat uns das Obergeschoss als Provokation hinterlassen. Künstler müssen sich fragen: Wie kann ich hier meine Kunst zeigen? Es wäre unverzeihlich, wenn das Haus nicht so wunderschön wäre.“
Haben wir das richtig verstanden: Die atemberaubende Schönheit – also in gewisser Weise die Eitelkeit des Architekten – ist also für Chipperfield die Entschuldigung für die Bauform? Oder ist das Gebäude nicht doch zukunftsweisender, weil es das Prinzip der Offenheit über die damals wie heute als verbindlich angenommenen Prinzipien der Museumfunktionalität stellt. Ähnlich ging Mies van der Rohe bei der schon 1950 bis 1956 erbauten Crown Hall am Campus des Illinois Institute of Technology in Chicago vor. Optisch fast ein Zwilling der Nationalgalerie entspricht es ebensowenig den Vorstellungen von einem klassischen Universitätsgebäude und zelebriert Transparenz. Und es funktioniert hüben wie drüben. In die Neue Nationalgalerie in Berlin strömen Menschen in die Halle, die aus dem Museum einen Begegnungsort macht – der mindestens gleichwertig mit den herkömmlichen Ausstellungsräumen im Untergeschoß ist, die mit ihrem behaglichen Spannteppichboden sogar einen noch viel größeren Kontrast zu Stahl, Glas und Stein im Obergeschoß bieten.
Ist diese Platzverschwendung nun eine Einschränkung für die Kunst? Nur dann, wenn man eine abstrakte Flächen braucht, um seine Objekte hermetisch abgeschlossen zu präsentieren. Nicht, wenn man mit seiner Ausstellung auf Stadtraum, Gebäude und Gesellschaft in immer neuen Aspekten reagiert. Und das gelingt der Künstlerin Monica Bonvicini mit der Ausstellung I do you (bis 30.04.2023) ganz besonders. Sie lädt die Besucher ein, die Objekte zu verwenden. Man kann Gerüste besteigen und sich in metallenene Hängematten legen oder sich temporär an das Gebäude anketten. Der aktivierende Zugang wird von den Besuchern – weitgehend einheimisch, jeden Alters und für ein Kunstpublikum auch einigermaßen divers – spielerisch angenommen. Das Publikum wird Teil der Ausstellung, mit der die Künstlerin inhaltlich doch sehr radikal und mit einem weiblichen Blick auf das Gebäude reagiert. Und zwar indem sie sich mit harten und gewalttätigen Materialien ihrer Objekte – wiederum Metall, Glas und Stein, aber nicht in der Strengen Geometrie Mies van der Rohes – die Sprache männlicher Eroberung aneignet und damit auch einen männlich chauvinistischen Charakter, der dem ikonischen Gebäude ebenso innewohnt, thematisiert.
Gebäude, Stadtraum, Gesellschaft, Kunst und Aussage verschmelzen hier zu einer gelungenen und kontrastreichen Symbiose. Zu einem Musterbeispiel an Offenheit. Erstaunlich wie sich das Gebäude hier gegen die Fesseln der Organisation durchsetzt.
Links:
David Chipperfield im Gespräch mit Vladimir Balzer, Eine Schwierige Ikone (Deutschlandfunk)
Bert Rebhandl, Nationalgalerie Berlin: Monica Bonvicinis Ausstellung „I do you“ (Der Standard)